Kriegschronik von Reusch
aus der Zeit von 1939-1945

verfasst von Georg Schemm
* 08.04.1902 † 02.07.1993
Ehrenbürger von Reusch

25 Jahre sind nun bereits vergangen, seit der große Krieg, der auch für die Gemeinde Reusch unsägliche Opfer, Schrecken und Verwüstungen gebracht hat, sich seinem Ende näherte.
Im Folgenden soll das wichtigste aus meinen Niederschriften und Aufzeichnungen aus dieser schweren Zeit in einer Kriegschronik von Reusch festgehalten werden.

Abgesehen von den allgemeinen Kriegsmaßnahmen und besonderen Familienschicksalen verliefen auch hier die ersten Kriegsjahre ruhig und ohne besondere Ereignisse und man hoffte, daß dies auch so bleiben wird, weil man ja hier etwas abseits von großen Städten und Flugplätzen wohnte. Doch eines Nachts am 06.05.1942 hörte man plötzlich einige Bombeneinschläge, die vom Kappelberg bei Weigenheim gekommen waren, aber daselbst keinen wesentlichen Schaden verursacht haben.

Aber es sollte noch ernster und deutlicher kommen:
Am 23.02.1943 nachts gegen 23.00 Uhr entstand ein starkes Zucken in der elektrischen Beleuchtung, woraus man allgemein Fliegergefahr schloß. Und schon nach wenigen kurzen Augenblicken brausten feindliche Flieger über unsere Gemarkung und bewarfen hauptsächlich in westlicher Richtung, im Besonderen die Umgebung der Lanzenmühle mit vielen hunderten von Brandbomben, sowie beim Hallenbuck gleich links der umgebauten neuen Straße außer einigen Phosphorbomben auch eine harmlos scheinende Sprengbombe ab, was an einem etwa 0,5m tiefen Sprengtrichter erkennbar war. Bei diesem ersten Fliegerangriff auf unsere Gemeinde sah man sofort gelbrote Leuchtkugeln am Himmel stehen und viele hunderte Stabbrandbomben fallen. Durch diese Brandbomben und durch einige ebenfalls in der Nähe stehenden sogenannten Christbäume war die Ortschaft und besonders der untere Flur für kurze Zeit in Taghelle erleuchtet und schön, aber schaurig anzusehen. Glücklicherweise ist ein wesentlicher Schaden durch Brand oder an Menschenleben nicht dabei entstanden. Am folgenden Morgen wurde der ganze hiesige Flur abgesucht und dabei noch manche nicht entzündete Brandbombe gefunden und unschädlich gemacht. Auch der kleine Sprengtrichter beim Hallenbuck wurde gefunden und nachher von vielen neugierigen Alten und Jungen, hiesigen und fremden Einwohnern besichtigt, ohne an eine weitere Gefahr zu denken. Doch die Gefahr war groß – Als um die Mittagszeit – von innerer Unruhe getrieben – unser Bürgermeister Gronbach mit Luftschutzwart Langheinrich den Platz noch einmal besichtigten und feststellen wollten, ob vielleicht etwa irgendeine Gefahr noch bestünde, oder eine Absperrung nötig wäre und soeben eine größere Anzahl neugieriger Leute wegschickten, da war es soweit, daß sich noch ein großes Unglück hätte ereignen können. Wenige Minuten nachdem diese beiden Männer den Trichter verlassen hatten, ereignete sich eine mächtige Explosion, bei der ungeheure Erdmassen in die Höhe gerissen wurden und ein Sprengtrichter von etwa 12m Durchmesser und 4m Tiefe entstanden ist. Es war eine Zeitzünderbombe, die sich nun entladen hatte und die, wenn sie etwas früher losgegangen wäre, oder in der Ortschaft gelegen wäre und da unverhofft losgegangen wäre, wahrscheinlich viele Todesopfer und großen Sachschaden verursacht hätte.

Diesem ersten Fliegerangriff auf Reusch folgten, bevor es zum eigentlichen Kriegsende ging, noch zweimal gefahrvolle Überflüge und Angriffe feindlicher Flieger. So spielte sich am 14. Oktober 1943 nach dem großen Angriff auf Schweinfurt besonders in nordöstlicher Richtung über Reusch an einem Nachmittag etwa um 14.00 Uhr ein Luftkampf ab, bei dem einige brennende feindliche Flugzeuge in der weiteren Umgebung hinter dem Frankenberg abgestürzt sind und sich die feindlichen Piloten nur durch Fallschirmabsprung retten konnten. Der Luftkampf über Reusch dauerte etwa eine Viertelstunde und wurde von den meisten Einwohnern draußen auf freiem Feld miterlebt. Ich selbst war mit meiner Familie und meinem Pferdegespann auf dem Mühlbuck und konnte alles gut beobachten. In knapp 3m Entfernung von mir schlug ein 1,5kg schweres Granatstück zu Boden. Auch andere Einwohner hatten ähnliche Erlebnisse, doch auch diesmal ging die Gefahr glücklich und ohne Schaden vorüber. Von den etwa 15-20 abgesprungenen Fliegern, die von hieraus beobachtet werden konnten, wurden beim Absuchen der Flur, insbesondere des Tannenwaldes, drei amerikanische Flieger hier festgenommen und dem Fliegerhorst Illesheim übergeben.

Im Februar 1944 nachts kreiste ein feindliches Flugzeug über Reusch und sogleich hörte man, wie Bomben in der Luft rauschten und dann in der Nähe einschlugen. Es waren 7 schwere Bomben, die zwischen Reusch und Frankenberg beim Rödleinsacker niedergingen. Der Schaden, der dabei entstanden war, traf diesmal hauptsächlich den Holzbestand des in etwa 50 – 100m entfernten Tannenwaldes. Es wurden sehr viele Stämme dabei zersplittert und umgebrochen, so daß an dieser Stelle etwa 2 ha groß ein vollständiger Kahlschlag gemacht werden mußte. Unter diesen niedergegangenen Bomben befand sich wiederum eine 5-Zentner-Bombe, die sich nicht entladen hatte und viele Wochen lang als Blindgänger im Baumland des Georg Schumann Pl.Nr. 1272 liegen blieb, bis sie durch ein Entschärfungskommando entfernt werden konnte. Nachdem nun auch hier schon wiederholt Luftangriffe stattfanden, wurde die Kriegslage immer ernster und man versuchte auch hier, sich mehr und besser zu schützen.

So kam der Ausgang des Winters 1944/45; schon hörte man in der Ferne den Donner der Kanonen. Feindliche Flugzeuge sah man ruhig ohne jede Störung in großen Mengen die Heimat überfliegen, wenn sie zum Angriff auf ihre Ziele oder von dort zurückkamen. Immer öfter und stärker sah man dann in dieser Richtung – besonders bei Nacht – den Himmel rot, als Zeichen eines großen Brandes und als Zeichen der Vernichtung unserer deutschen Städte und Ortschaften.

In den Märztagen war man sich bewußt, daß dieser Krieg in kurzer Zeit beendet sein wird. Vom Maintal herauf hörte man deutlich jeden Beschuß und sah auch bereits in der Ferne die brennenden Ortschaften. Es war nun für die Ortseinwohner außerordentlich schwer, sich für die kommenden Tage recht vorzubereiten; man wußte nicht, wie es kommen wird und wie man sich und seiner Habe am besten schützen sollte. Von Seiten der deutschen Regierung wurden ganz strenge Vorschriften erlassen und die totale Verteidigung der Heimat durch den Volkssturm und allen noch verfügbaren Kräften verlangt.

Am Ostersonntag, den 1. April, kamen die ersten deutschen Soldaten, meist ältere Jahrgänge, auf ihrem Rückzug zu uns und gingen noch am selben Tag weiter nach rückwärts. Zugleich kam die Front für uns immer näher und man ging jetzt ernstlich daran, Lebensmittel, Kleidung und sonstige Wertsachen in möglichst sichere Verstecke und feuersichere Räume unterzubringen. Die allermeisten landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte verbrachte man ins Freie. Und nun setzte ein lebhafter Verkehr unserer deutschen Truppen hier ein. Die hiesige Ortschaft wurde besetzt und zur Verteidigung hergerichtet; fast in jedem Haus waren deutsche Soldaten einquartiert. Die ortsansässige Bevölkerung hauste jetzt fast Tag und Nacht nur noch in Kellern. Viele Einwohner hatten die Absicht, sich überhaupt nicht mehr in der Ortschaft aufzuhalten und dafür in den Wald oder sonst ins Freie zu fliehen, für den Fall, wenn die Ortschaft stark beschossen werden sollte. Es stellte sich aber doch bald heraus, daß eine Flucht ins Freie nicht zweckmäßig ist, weil man ja sein Vieh usw. nicht mitnehmen konnte und weil ja im Freien auch kein Schutz vorhanden war. Außerdem wäre es auch nicht möglich gewesen, bei einem Brand die Nachbargebäude zu schützen, und es wären bestimmt noch sehr viele Gebäude, insbesondere auch Wohnhäuser, mit abgebrannt, wenn nicht jeder seine in Gefahr stehenden Gebäude selbst geschützt hätte.

Am 4. April mittags wurde mit dem Beschuß der Ortschaft durch feindliche Artillerie und Granatwerfer begonnen und dabei die erste Scheune (der Witwe Albrecht Hs.Nr.42) in Brand geschossen. Außer diesem Sachschaden ist diesmal auch der erste Verlust bei der Zivilbevölkerung entstanden – Frau Sofie Schumann Hs.Nr.52 wurde von einem Granatsplitter getroffen und dabei ein Fuß weggerissen. An den Folgen dieser schweren Verwundung ist Frau Schumann nach zwei Tagen verstorben.

Dieser erste Beschuß am 04.04.1945 dauerte aber nur kurze Zeit. Plötzlich sah man auf dem Kirchturm zwei weiße Fahnen wehen. Es war ein Aufatmen und für uns ein beruhigendes Gefühl, als man dieses Zeichen sah, und sofort hörte auch der Beschuß auf. Hiesige Bürger hatten es gewagt, die Flaggen zu hissen. Doch die Führer der deutschen Truppen nahmen diese Flaggen sofort wieder weg und suchten nach den Tätern. Zum Glück konnten sie diese nicht finden; es hätte ihnen wohl das Leben gekostet. Unser Bürgermeister Paul Gronbach wurde jetzt bei Androhung der Todesstrafe verantwortlich gemacht, daß die Kirche Tag und Nacht bewacht wird, daß dies nicht mehr vorkommt.

Am nächsten Tag mittags 1 Uhr, ich hatte gerade Kirchenwache, kreisten plötzlich einige Flieger über Reusch und setzten sofort zum Tiefflugangriff an. Ich suchte schnell etwas Deckung bei Lobig und war somit in unmittelbarer Nähe des Angriffes. In wenigen Augenblicken war ein Großfeuer ausgebrochen, dem das Wohnhaus und die Scheune des Georg Preu Hs.Nr.16, die Scheune des Leonhard Lindner Hs.Nr.17, die Scheune der Babette Petereins Hs.Nr.18, die Scheune Des Hans Geuder Hs.Nr.19 und die drei Scheunen des Hans Gronbach Hs.Nr.20,21 und 22 zum Opfer fielen. Soweit möglich wurde das Feuer durch den Einsatz der Feuerwehr und sonstigen Helfern bekämpft, aber es war außer dem Vieh nur wenig zu retten.

Im oberen Dorf wurden bei diesem Angriff Sprengbomben geworfen, die zwar keinen Brand, aber ebenfalls sehr großen Schaden verursachten. Bei Paul Gronbach (Bürgermeister) Hs.Nr.8 wurde das Haus, insbesondere die Fenster und Türen, zertrümmert und am Mauerwerk starke Splitter, die heute noch bestehen, verursacht. Bei Kister Franz Hs.Nr.9 wurde das Haus genauso getroffen wie bei Bürgermeister Gronbach. Bei Busch Hs.Nr.65 wurde insbesondere der Viehstall schwer betroffen und dabei das Vieh zum Teil erschlagen. Auch das Wohnhaus wurde schwer betroffen. Bei Haag Andreas Hs.Nr.66/67 wurde das Hofhaus fast zum Einsturz gebracht, die vordere Giebelseite wurde herausgerissen, und am Wohnhaus wurde ebenfalls schwerer Schaden verursacht.

Besonders bedauerlich ist, daß bei diesem Angriff auch ein Menschenleben zu beklagen ist. Emma Liebberger, ein junges Mädchen von 18 Jahren, wurde im Hauskeller des vom Angriff betroffenen Franz Kister Hs.Nr.9 durch Splitter getroffen und ist an den Folgen dieser Verwundung im Krankenhaus in Uffenheim verstorben.

Am 07.04.1945 mußten alle noch jüngeren Männer, Frauen und Mädchen zum Schanzen antreten; es wurden auf Anordnung und unter Aufsicht der deutschen Verteidigungstruppen Erdlöcher ausgegraben. In der Nacht vom 07. auf 08.04. wurden die hiesigen Dorfbrücken mit 5 Ztr. schweren Fliegerbomben geladen. Ich selbst wurde nachts aufgefordert, diese von Lastautos hierher gebrachten Bomben mit meinem Pferdegespann an die einzelnen Brücken hinzuschleifen. Ich habe dieser Aufforderung nicht Folge leisten wollen, weil ich die Sprengung dieser Brücken verhindern wollte. Ich wurde aber nochmals aufgefordert und konnte mich dieser grauenvollen Unheil drohenden Tätigkeit nicht mehr entgegenstellen. Man versprach mir auch, daß deswegen diese Brücken nicht gesprengt werden und zur gegebenen Zeit wieder beseitigt, oder wir selbst die Zündleitung vielleicht unbrauchbar machen könnten. Es war uns aber nicht möglich, diese Sprengung zu verhindern, weil diese Brücken Tag und Nacht von einem militärischen Posten bewacht wurde, damit niemand etwas daran machen konnte. Am 08.04. gegen Abend bis in die Nacht mußten wiederum Schützenlöcher gegraben werden.

In den Vormittagsstunden des 09.04. verschärfte sich die Lage immer mehr. Es setzte die feindliche Aufklärung durch Flugzeuge und Panzerspähwagen ein. Auch deutsche und feindliche Spähtrupptätigkeit zeigte den Ernst der Lage an. Nachdem nun schon am 04.04.1945 Frau Schumann und am 05.04. Fräulein Emma Liebberger tödlich verletzt worden waren, war es jetzt sehr gefährlich, sich im Freien zu bewegen, und dies wurde nun am 09.04. Herrn Wilhelm Wehrmann Hs.Nr.75 1/2 zum Verhängnis. Als er sich von der Feldscheune des Georg Rienecker aus, wo auch deutsche Soldaten Schutz suchten, auf dem Boden kriechend, zu seinem etwa 120m entfernten Anwesen und zu seiner anwesenden Frau begeben wollte, wurde er von einem feindlichen Schützen in den Rücken getroffen und war sofort tot. In den Nachmittagsstunden des 09.04. wollten zwei Soldaten – ein Oberleutnant und sein Melder – aus dem hiesigen Kirchturm Ausschau nach dem Feind halten. Sie wurden aber sofort entdeckt und bei dem sofortigen starken Beschuß tödlich getroffen.

Die Amerikaner waren nun von Ippesheim kommend mit Panzern bereits bis an den Dorfrand gekommen. Hier am Eingang des Dorfes brannten schon die Scheune des Heinrich Braun und Stall und Scheune der Witwe Katharina Dorsch Nr.79. Wegen starkem Beschuß mußten die Löscharbeiten eingestellt und Schutz in den benachbarten Kellern gesucht werden. Man glaubte nun kämen die Amerikaner und würden die Ortschaft besetzen, aber die Amerikaner ließen sich nochmals vertreiben. In später Abendstunde wollte ich noch Hilfe für die brennenden Anwesen herbeiholen, mußte aber wegen neuem Beschuß selbst wieder Deckung suchen und konnte im Keller des Friedrich Koch unterkommen. In diesem Keller waren bereits auch schon deutsche Soldaten mit ihrem Führer und ich konnte Zeuge sein, wie unter starkem Beschuß des Feindes der Führer dieser Soldaten strengen Befehl zum Widerstand gegen den Feind und den Befehl zur Sprengung der hiesigen 3 Dorfbachbrücken gab. Als der Beschuß etwas nachgelassen hatte, versuchte ich so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Kaum daß ich mich im Freien befand, erfolgte eine fürchterliche Explosion. Das ganze Dorf schien in Trümmer zu fliegen; es wirbelten zentnerschwere Steine, Ziegel, Holzstücke usw. in die Luft. Ich suchte Deckung und lief nach Beruhigung schnell nach Hause. Kaum in meinem Keller angekommen erfolgte derselbe Schlag nochmals. Es waren die Dorfbrücken gesprengt worden und dadurch an den umliegenden Gebäuden und auch noch in weiterer Entfernung – insbesondere an den Dächern, Fenstern und Türen – größte Schäden entstanden. An eine gegenseitige Hilfe war jetzt in der Nacht nicht mehr zu denken. Jeder suchte für sich und seine Angehörigen nur noch einen sicheren Ort im Keller, um bei dem bevorstehenden letzten Kampf das Leben zu retten. Die ersten Stunden der Nacht waren noch verhältnismäßig ruhig, dann verschärfte sich der Beschuß und neue Brände entstanden. Ãœberall brannte es; besonders schwer wurde jetzt auch das Anwesen von Stern Hs.Nr.55 und das Anwesen Anna Albrecht Hs.Nr.31 – wo der ganze Viehbestand schon im Stall durch Beschuß einging – betroffen.

Inzwischen waren die Amerikaner mit Panzern und Infanterie nah bis ans Dorf vorgedrungen. Ihre Panzer fuhren besonders in der Lixen und bei Hans Klein Hs.Nr.82 bis an den Rand der Ortschaft, von wo aus sie die ganze Ortschaft übersehen konnten. Von den deutschen Soldaten, die in Erdlöchern verschanzt waren und besonders von einem beim Schloßmühlbach ausgestellten Flackgeschütz, wurde dieser Angriff bekämpft und dabei drei amerikanische Panzer abgeschossen. Ein abgeschossener Panzer stand fast das ganze Jahr bis zur Zerlegung im Acker des Franz Kister Hs.Nr.9. In diesem letztgenannten Panzer wurde ein Amerikaner tödlich getroffen und konnte erst nach einigen Wochen durch Aufschweißen des Panzers herausgenommen werden.

So konnte es nicht Wunder nehmen, daß im Morgengrauen des 10.04.1945 ein heftiger Kampf hier tobte und deshalb das halbe Dorf in Flammen stand. Auch meine Scheune und Stall wurden im letzten Augenblick noch in Brand geschossen, und hier bei mir halfen amerikanische Soldaten schon mein Vieh und Pferde aus dem brennenden Stall zu retten.

Als die Kampftruppen der Amerikaner ins untere Dorf einrückten und dieses besetzten, suchten sie alsbald in Verbindung mit der ortsansässigen Bevölkerung zu kommen. Es war nicht leicht und sehr gefährlich diese erste Begegnung, aber man fühlte sich trotz aller jetzt herrschenden Not und Verwüstung doch glücklich und geborgen, als man sich in gütlicher Weise verständigen und ein gewisses Zutrauen bekommen konnte. Obwohl nun die deutschen Soldaten, etwa 200 Mann, der Übermacht nicht mehr widerstehen konnten und, soweit sie nicht in Richtung Weigenheim und Wald fliehen konnten, sich als Gefangene ergeben mußten, bestand immer noch Gefahr durch in die Dorfstraßen versteckten Minen. Die Sturmtruppe der Amerikaner hielt sich in der Ortschaft Reusch nur kurze Zeit auf. Wohl wegen der gesprengten Brücken und den noch versteckten Minen in den Dorfstraßen (zwischen dem Anwesen Eisenhut Hs.Nr.57 und Georg Rückert Hs.Nr.80 wurden durch solche Minen ein amerikanisches Jeep-Auto zerstört und ein Pferd der Frau Dorsch tödlich getroffen) ging der Vormarschverkehr der Amerikaner sogleich über die Sommerriedsbrücke den Dorfgrabenweg herauf in Richtung Weigenheim weiter. Nach Beendigung der Kampfhandlungen wurden 13 deutsche und 2 amerikanische Soldaten auf dem hiesigen Friedhof zur letzten Ruhe gebettet. Außer diesen 2 Amerikanern, die nachher wieder ausgegraben und in besondere Friedhöfe oder ihre Heimat gebracht wurden, erlitten die Amerikaner noch 2 Mann Verluste hier, wovon der eine erst nach Wochen aus seinem Panzer herausgenommen werden konnte. Bei der hiesigen Bevölkerung entstanden bei den letzten Kampfhandlungen keine Verluste an Menschenleben mehr; erst nach Wochen wurde bei Gronbach Hans Hs.Nr.21 dessen Knecht Michael Schumann durch eine gefundene Handgranate das 4. Todesopfer.

Der Verlust an Hab und Gut war auch hier sehr groß:
Es sind 33 Scheunen, 15 Stallungen, 2 Wohnhäuser und sonstige Nebengebäude, fast alles Neubauten, vollständig niedergebrannt. Außerdem wurden viele Gebäude, darunter die Kirche und da besonders der Kirchturm (dieser mußte bis herab zum Glockenstuhl neu aufgebaut werden), sowie Schul- und Pfarrhaus und durch die Brückensprengung die Wohnhäuser von Zinser Hs.Nr.56 und Seßler Hs.Nr.52 sehr schwer beschädigt.
Durch Feuer vernichtet wurden nach Hausnummern geordnet folgende Gebäude:
Bei Hs.Nr.1 die Pfarrscheune,
bei Braun Hs.Nr.13 die Feldscheune,
bei Preu Georg Hs.Nr.16 das Wohnhaus mit Scheune und Stall,
bei Lindner Leonhard die Scheune und Halle,
bei Petereins Babette die Scheune und Schweinestall,
bei Geuder Hans Hs.Nr.19 die Scheune und Schweinestall,
bei Gronbach Hans Hs.Nr.20/21/22 die drei Scheunen,
bei Himmer Georg Hs.Nr.27 die Scheune und Schweinestall,
bei Mägerlein Ludwig Hs.Nr.28 die Scheune mit Vieh- und Schweinestallung und die Feldscheune,
bei Schmidt Georg Hs.Nr.29 die Scheune mit Nebengebäuden,
bei Loscher Johann Hs.Nr.30 die Scheune und Nebengebäude,
bei Albrecht Anna Hs.Nr.31 die Scheune mit Anbau und Viehstallung mit Viehbestand, das Haus wurde durch Beschuß schwer beschädigt,
bei Koch Luise Hs.Nr.32 die Scheune und Viehstallung mit Futterboden,
bei Schemm Georg Hs.Nr.36 die Scheune und Viehstall mit Futterboden und zwei Wohnräumen,
bei Schwarz Georg Hs.Nr.39 die Scheune und Viehstall,
bei Geuder Georg Hs.Nr.41 die Scheune und Vieh- und Schweinestallung,
bei Albrecht Margarethe Hs.Nr.42 die Scheune mit Stallung,
bei Fuchs Heinrich die Scheune und Schweinestallung, das Haus wurde durch Beschuß sehr schwer beschädigt,
bei Schumann Georg Hs.Nr.52 die Feldscheune,
bei Stern Andreas Hs.Nr.55 das ganze Anwesen mit Haus, Stallung und Scheune,
bei Eisenhut Martin Hs.Nr.57 die Scheune mit Stallung,
bei Liebberger Joh. Hs.Nr.58 die Scheune mit Stallung,
bei Koch Friedrich Hs.Nr.60 die Scheune mit Anbau und Schweinestallung,
bei Singer Hans Hs.Nr.61 die zwei Scheunen mit Vieh- und Schweinestallung und Teile vom Wohnhaus,
bei Geuder Hans Hs.Nr.68 die Scheune mit Anbau und Stallung,
bei Beck Simon die Scheune mit Stallung und Anbau,
bei Dorsch Katharina Hs.Nr.79 die Scheune und Viehstallung mit Futterboden und die Maschinenhalle.

Bei dieser Aufstellung sind zusammengebaute Scheunen mit Umried usw. nur als eine gerechnet, so daß der Brandschaden, zumal es sich um fast lauter neue Gebäude handelte, mindestens 50-60% aller landwirtschaftlichen Gebäude beträgt.

Die Verluste an Vieh, Maschinen, Haushaltsgegenständen, Wäsche und Kleidung, Futtervorräten usw. waren sehr hoch und unersetzlich. Wenn in einem Anwesen ein Brand ausgebrochen war, wurde das Vieh, soweit es noch am Leben war, aus dem Stall ins Freie getrieben und seinem Schicksal überlassen, bis man später, wenn man noch eine Unterkunftsmöglichkeit gefunden hatte, sich sein Vieh wieder zusammensuchte (manches Stück Vieh konnte nicht mehr gefunden werden) und zum gr0ßen Teil in fremden Ställen oder Scheunen mit Futter- und Strohspenden der Nachbarhilfe oft sehr notdürftig weiterwirtschaften konnte. Daß auch unsere Pferde und Rinder die Schrecken des Krieges fühlten, zeigt der Umstand, daß einzelne Tiere in ruheloser Hast in den umliegenden Wäldern umherirrten und bei Annäherung von Menschen scheu und wild die Flucht ergriffen. Es dauerte bis über den Winter 1945/46, bis einzelne Tiere eingefangen werden konnten; noch bis Sommer 1946 konnten sich einzelne Rinder in völliger Verwilderung in den Wäldern aufhalten.

Der Wiederaufbau ging nur sehr langsam. Es fehlte nicht am Aufbauwillen, aber an den nötigen Material. Mit großer Mühe konnte im Sommer 1945 eine der so notwendigen Dorfbrücken aus Eichenstämmen notdürftig wiederhergestellt werden. Auch die gesprengte Brücke beim Weigenheimer See konnte erst im Herbst 1945 wieder mit Zementrohren hergestellt werden. Bis dahin war das Sprengloch nur mit Erde von den Amerikanern eingefüllt gewesen; der ganze Flur oberhalb war deshalb ein großer See. Die noch vorhandenen Maschinen, sowie Futter und Getreide, mußten im Freien gelagert werden, wodurch noch große Schäden entstanden sind. Auch die Instandsetzung des elektrischen Ortsnetzes konnte erst im Herbst 1945 erfolgen; bis dahin war die Gemeinde ohne Strom. Für den Wiederaufbau wurde fleißig Schutt geräumt und Baupläne wurden eingereicht, aber nicht bearbeitet und fertiggemacht. Gebaut konnte nur werden, wenn man Glück hatte oder beim Schwarzhandel mitmachen konnte – eine andere Hilfe gab es nicht. So kam es, daß am 20.06.1948, als eine neue Geldwährung eingeführt wurde, vieles, ja fast alles, was vorher noch gebaut werden sollte, noch in Trümmern lag. Jetzt, nach Einführung des neuen Geldes, wo jede Person 40,-DM als sogenanntes Kopfgeld erhielt, konnte man wieder kaufen und auch langsam ans Aufbauen gehen, aber man hatte das nötige Geld nicht dazu.

Eine außerordentlich schwere Zeit hat die von Natur aus nicht allzureich gesegnete Gemeinde hinter sich. Neben dem großen Kriegsschaden waren es auch die außerordentlich trockenen Jahre, besonders 1947, wo das wenige noch vorhandene Vieh zum Teil wegen Futter- und Strohmangel zu Schleuderpreisen ohne Gegenwerte kurz vor der Währungszeit noch weggeschafft werden mußte. Bis zum 20.06.1948 standen alle Lebensmittel unter Zwangsbewirtschaftung. Übertretungen (wenn sie angezeigt wurden) wurden schwer bestraft und ganz ehrliche Bürger konnten zu nichts mehr kommen. Nach etwa 10-12 Jahren waren die meisten Betriebe fast vollständig wieder aufgebaut, doch mußten die Betriebe, die erst nach der Währung aufbauen konnten, eine schwere Schuldenlast auf sich nehmen.

Doch auch diese schwere Zeit konnte den schwere Arbeit gewohnten, zähen Bauernschlag den Glauben, die Freude und die Zufriedenheit nicht nehmen. Die Verwurzelung mit dem eigenen Boden, die Verbundenheit mit der heimatlichen Scholle ließ auch in dieser schweren Zeit die Liebe zur Heimat nicht erkalten. Und diese Heimatliebe, die war es auch, die uns trotz aller Not immer wieder die Kraft und den Mut gab, die Heimat wieder aufzubauen und sie uns und unseren Kindern als treues Erbe unserer Väter weiterzuerhalten.

Möge nun unsere Ortschaft, unser Kreis und unser deutsches Vaterland dem Schutze des allmächtigen Gottes befohlen, nie wieder die Schrecken eines solchen Krieges zu verspüren bekommen. Mögen die Bewohner dieses sonst gesegneten und friedlichen Gaues auch den echten wahren Frieden der Menschheit genießen und sich der lieben und teueren Heimat im Glück der Geborgenheit weiterhin erfreuen können.

verfasst von Georg Schemm